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REDEN & ABSCHRIFTEN 5. Oktober 2020

Umkehrung der Ungleichheitspandemie: Rede von David Malpass, Präsident der Weltbankgruppe

Präsident der Weltbankgruppe David Malpass

Rede an der Frankfurt School of Finance & Management

Sie können die Aufzeichnung der Veranstaltung hier ansehen

Einführung

Danke, Jens. Und danke an die Frankfurt School für die virtuelle Einladung. Ich freue ich mich auf die Gespräche mit Ihnen und auf die Fragen der Studenten, die die zukünftigen Unternehmer/innen in einer post-COVID-Welt sein werden.  Ich bin hier, um die Grundlagen für die Jahrestagung des IWF und der Weltbankgruppe zu schaffen, die sich schwerpunktmäßig auf COVID und die Schuldenproblematik konzentrieren wird. Wir werden auch mit unseren Partnern dringende Gespräche über Humankapital, Klima und digitale Entwicklung führen.

Bevor ich aber anfange, möchte ich erwähnen, dass dies das erste Mal ist, dass die Positionierungsrede für die Jahrestagung der Weltbankgruppe in Kontinentaleuropa gehalten wird. Deutschland ist ein Hauptanker für die Weltbankgruppe und den Rest von Europa. Für die IBRD ist Deutschland der viert größte Anteilseigner und der viert größte Beitragszahler für IDA. Und Kanzlerin Merkel ist schon immer eine starke Unterstützerin der Prioritäten der Weltbankgruppe gewesen inkl. der Schuldenproblematik und COVID wie auch für bei Maßnahmen für die globalen öffentlichen Güter. Wenn ich es richtig sehe, zählen diese Prioritäten auch zu den Schwerpunkten von Deutschlands EU Ratspräsidentschaft, die bis Ende 2020 gehen wird.

Wie Jens schon sagte, ist die COVID-19 Pandemie eine Krise wie keine andere. Die Auswirkungen sind enorm und Menschen in den ärmsten Ländern werden wahrscheinlich am meisten und am längsten leiden. Die Pandemie hat Leben gekostet und die Lebensgrundlage in jedem Winkel der Erde erschüttert. Es hat mehr Volkswirtschaften in eine Rezession gestürzt als dies je seit 1870 vorgekommen ist. Und es kann zu einer ersten Welle eines verlorenen Jahrzehntes führen, das durch schwaches Wachstum, ein Zusammenbruch von vielen Gesundheits- und Bildungssystemen und übermäßiger Verschuldung belastet sein wird.

Die Pandemie hat unsere Welt schon entschieden verändert und einen schmerzhaften Transformationsprozess eingeleitet. Es hat alles geändert: wie wir arbeiten, den Umfang unserer Reisen und die Art und Weise, wie wir kommunizieren, unterrichten und lernen. Es hat Entwicklungen von einigen Industrien beschleunigt, - besonders den Technologiesektor - während andere in die Obsoleszenz gedrängt worden sind.

Unsere Vorgehensweise ist umfassend – mit dem Fokus Leben zu retten, die Armen und Schwachen zu schützen, nachhaltiges Geschäftswachstum zu gewährleisten und einen verbesserten Wiederaufbau. Heute liegt mein Schwerpunkt auf vier wichtigen Themen dieser Aufgabe: erstens, die Notwendigkeit die Bemühungen zu verdoppeln, um Armut und Ungleichheit zu verringern. Zweitens, den damit verbundenen Verlust von Humankapital und Klärung, was passieren muss, um dies wiederherzustellen. Drittens, die dringende Notwendigkeit den ärmsten Ländern zu helfen, ihre Staatsverschuldung transparenter zu machen und die Schuldenlast zu verringern; zwei notwendige Schritte, um effektive Investitionen anzuziehen. Und schließlich, wie können wir zusammenarbeiten, um die notwendigen Veränderungen zu erleichtern, die für einen integrativen und widerstandsfähigen Aufschwung erforderlich sind.

Thema 1: Armut und Ungleichheit

Erstens hat COVID-19 bei Armut und Ungleichheit einen bisher nie dagewesenen Rückschlag bei den weltweiten Bemühungen erzeugt, um extreme Armut zu beenden, Medianeinkommen zu erhöhen und Wohlstand für alle zu schaffen.  

Jens hat Bezug genommen auf die neuen Armutsprognosen der Weltbank, die besagen, dass bis 2021 weitere 110 bis 150 Mio. Menschen in die extreme Armutsgrenze geratenwerden, d.h. von weniger als $1,90 am Tag leben müssen.  Das bedeutet, dass die Pandemie und die globale Rezession 1,4% der Weltbevölkerung in diese extreme Armut gedrängt hat.  

Die aktuelle Krise unterscheidet sich deutlich von der Rezession 2008, die mehr Schaden bei den finanziellen Aktiva und mehr die Industrieländer als die Entwicklungsländer getroffen hatte. Dieses Mal ist der Wirtschaftsabschwung breiter und viel tiefer und hat den informellen Arbeitersektor und die Armen, vor allem Frauen und Kinder, viel stärker getroffen als die hohen Einkommen oder Aktiva.  

Eine der Gründe für die unterschiedlichen Auswirkungen sind die umfassenden staatlichen Ausgabenprogrammen der Industrieländer. Reiche Länder hatten die Ressourcen, um ihre Bürger in einem Maße zu schützen, die viele Entwicklungsländern einfach nicht haben. Ein anderer Grund sind die Käufe von Aktiva durch die Zentralbanken. Der Umfang solcher Käufe ist ohne Beispiel und hat erfolgreich die globalen Finanzmärkte stabilisiert. Davon profitieren die Wohlhabenden und die mit garantierten Pensionen, vor allem in den reichen Ländern. Aber es ist nicht klar, wie 0% Zinsen und immer weiter expandierende Regierungsaktiva und -passiva neue Arbeitsplätze, kleine profitable Unternehmen oder steigende Medianeinkommen schaffen werden – entscheidende Bausteine zur Umkehrung von Ungleichheit.

Ärmere Volkswirtschaften haben weniger makroökonomische Instrumente und Stabilisatoren und leiden unter schwächeren Gesundheitssystemen und Sozialversicherungsnetzen. Für sie gibt es keine schnelle Möglichkeit, um den plötzlichen Umsatzrückgang an die Verbraucher in Industrieländern oder den Zusammenbruch fast über Nacht des Tourismus oder Überweisungen von Familienmitgliedern umzukehren, die in Übersee arbeiten. Es ist klar, dass nachhaltiger Aufschwung ein Wachstum erforderlich macht, von dem alle Menschen profitieren – und nicht nur die, die an der Macht sind. In einer vernetzten Welt, in der Menschen besser als je zuvor informiert sind, wird diese Pandemie der Ungleichheit -  mit wachsender Armut und fallenden Medianeinkommen – eine wachsende Bedrohung für die Erhaltung der öffentlichen Ordnung und der politischen Stabilität, und sogar für die Verteidigung der Demokratie.  

Thema 2: Humankapital

Zweitens in Bezug auf Humankapital haben Entwicklungsländer vor COVID-19 signifikanten Fortschritt gemacht und dabei begonnen, besonders die geschlechtsspezifischen Diskrepanzen am Arbeitsmarkt zu schließen.  Humankapital ist ein Schlüsselfaktor für anhaltendes Wirtschaftswachstum und Armutsreduzierung. Es besteht aus dem Wissen, den Fähigkeiten und der Gesundheitsqualität, die Menschen im Laufe ihres Lebens erzielen. Es ist verbunden mit höherem Einkommen von Menschen, höheren Einkommen der Länder und einen stärkeren Zusammenhalt in Gesellschaften.

Jedoch haben seit dem Ausbruch mehr als 1,6 Mrd. Kinder in Entwicklungsländern wegen COVID-19 keine Schule mehr besucht. Das bedeutet einen potentiellen Verlust an $ 10 Bill. an erwartendem Lebenseinkommen für diese Studierenden.  Geschlechtsspezifische Gewalt ist wieder im Steigen begriffen, Kindersterblichkeit wird voraussichtlich in den kommenden Jahren auch wieder zunehmen. Unsere ersten Schätzungen zeigen eine potentielle Steigerung der Kindersterblichkeit von bis zu 45% wegen Versorgungsengpässen im Gesundheitswesen und weniger Zugang zu Nahrungsmitteln.

Diese Rückschläge bedeuten einen langfristigen Rückschlag bei der Produktivität, dem Einkommenswachstum und gesellschaftlichem Zusammenhalt – das ist auch der Grund, weshalb wir alles Menschen- mögliche tun, um Gesundheit und Bildung in Entwicklungsländern zu stärken. Im Gesundheitsbereich hat die Weltbankgruppe im März mit unserem Board zusammengearbeitet, um ein beschleunigtes COVID Verfahren zu finden, das bisher Notfallunterstützung an 111 Länder geliefert hat.  Die meisten Projekte sind in einem fortgeschrittenen Auszahlungsstadium für den Kauf von COVID bezogenen Lieferungen wie Masken und Ausrüstung für die Notaufnahme.

Unser Ziel war ein breiter und schneller Ansatz schon früh zu finden und damit große Nettoauszahlungen an die ärmsten Länder dieser Welt zur Verfügung zu stellen. Wir machen gute Fortschritte bei unserem angekündigten 15-Monatsziel von $ 160 Mrd. an Schnellfinanzierungen. Das meiste davon geht an die ärmsten Länder und den Privatsektor für Handels- und Betriebsmittelfinanzierungen. Über $ 50 Mrd. davon ist eine Unterstützung in Form von Zuschüssen oder niedrig verzinslichen langfristigen Krediten, die als wichtige Quelle dient, um Gesundheitssysteme und Sozialversicherungsnetzen zu erhalten und zu erweitern. Beide spielen voraussichtlich in naher Zukunft eine entscheidende Rolle beim Überleben und der Gesundheit von Millionen Familien.

Wir ergreifen auch Maßnahmen, um Entwicklungsländern bei COVID Impfstoffen und Therapien zu helfen. Ich habe letzte Woche angekündigt, dass wir durch Verlängerung und Erweiterung unseres schnellen COVID Notfallplanes $ 12 Mrd. zur Verfügung stellen für den Kauf und Einsatz von COVID-19 Impfstoffen, sobald sie von mehreren strengen Aufsichtsbehörden in der Welt genehmigt worden sind. Diese zusätzlichen Finanzierungen gehen an Entwicklungsländer mit niedrigen und mittleren Einkommen, die sonst keinen ausreichenden Zugang haben. Es wird ihnen helfen, den Verlauf der Pandemie für ihre Bürger zu ändern.   Die Weltbank kann mit dieser Vorgehensweise auf ihre umfangreiche Expertise zurückgreifen bei der Unterstützung von staatlichen Gesundheits- und Impfprogrammen. Damit wird den Märkten signalisiert, dass Entwicklungsländer mehrere Alternativen haben, um die genehmigten Impfstoffe zu kaufen und auch die dazugehörige bedeutende Kaufkraft.

Unsere Tochtergesellschaft für den Privatsektor – Internationale Finance Corporation oder IFC – ist dabei, auch stark in die Hersteller von Impfstoffen durch eine $ 4 Mrd. Global Heath Plattform zu investieren. Das Ziel ist zu unterstützen, dass die Produktion von COVID-19 Impfstoffen und Therapien gleichermaßen in Industrie- wie auch Entwicklungsländern hochgefahren wird und dadurch sicherzustellen, dass die Schwellenmärkte Zugang zu den zur Verfügung stehenden Mengen erhalten.  IFC arbeitet mit dem Impfstoffpartner – CEPI – mit dem Schwerpunkt zusammen, um mögliche Engpässe bei der COVID-19 Kapazität der Impfstoffhersteller zu identifizieren.

Um die Auswirkungen der Pandemie auf Bildung zu reduzieren, hilft die Bank den Ländern, die Grund - und Sekundarschulen schnell und sicher wieder zu öffnen. Kinder fallen zurück in ihren schulischen Leistungen, wenn sie nicht in der Schule sind. Und für Kinder in den ärmsten Ländern ist die physische Anwesenheit in einer Schule eine wichtige Quelle für Essen und Sicherheit, nicht nur für Lesen und Mathe, die eine kritische Stufe aus der Armut sind. Die Bank arbeitet in 65 Ländern daran, Fernlernstrategien zu implementieren, in denen Onlineressourcen mit Radio, TV, und sozialen Netzwerken kombiniert werden; und gedrucktes Material für die am meisten Schutzbedürftigen. Wir arbeiten auch zusammen mit UNICEF und UNESCO an den Rahmenbedingungen der Schulöffnungen.

Zum Beispiel stellen wir in Nigeria $ 500 Mio. an neuen Mitteln für die Initiative für heranwachsende Mädchen für Lernen und allgemeiner Befähigung (Adolescent Girls Initiative for Learning and Empowerment - AGILE), deren Ziel es ist, die Sekundarausbildungsmöglichkeiten bei Mädchen zu verbessern. Durch dieses Projekt erwarten wir, dass mehr als 6 Millionen Mädchen davon profitieren können, indem sie TV, Radio und Werkzeuge für Fernlernstudien nutzen können. 

Thema 3: Schuldenlast

Mein drittes wichtiges Thema ist die Schuldenlast. Eine Kombination von Faktoren hat zu einer Welle von übermäßiger Verschuldung in Ländern geführt, bei denen es keinen Spielraum für Fehler gibt. Die globalen Finanzmärkte sind von niedrigen Zinsen gekennzeichnet, was zu einer Suche nach Rendite mit einer Einladung zu höherer Verschuldung führt. Dies hat das Ungleichgewicht im globalen Schuldensystem verstärkt, das Staatsschulden in einer besonderen Kategorie stehen, durch die die Gläubiger des Schuldnerlandes gegenüber den Bürgern bevorzugt werden – es gibt kein Staatsbankrottverfahren, das eine Teilzahlung und eine Reduzierung von Forderungen zulässt. Dies hat zur Folge, dass die Menschen, selbst aus den ärmsten und mittellosen Ländern, die Staatsschulden solange zurückzahlen müssen, wie die Gläubiger diese Forderungen verfolgen. Selbst die sogenannten "Geier" Gläubiger, die die notleidenden Forderungen im Zweitmarkt kaufen, nutzen Rechtsstreitigkeiten aus, Klauseln mit Strafzinsen und Gerichtsurteile, um den Wert ihrer Forderungen zu erhöhen. Und sie benutzen Pfändungen von Vermögenswerten und Zahlungen aus, um die Zahlungsverpflichtung durchzusetzen. Im schlimmsten Fall ist es das moderne Äquivalent des Schuldenturmes.

Ferner haben politische Anreize und Gelegenheiten für Regierungsvertreter stark zugenommen, Schulden aufzunehmen. Ihre Karriere profitiert von der langfristigen Fälligkeit der Schulden, weil die Rückzahlungsmodalitäten häufig viel später liegen als der politische Zyklus. Das untergräbt die Rechenschaftspflicht für die Schulden, weshalb Transparenz heute viel wichtiger ist als in der Vergangenheit.

Ein weiterer Faktor bei der gegenwärtigen Schuldenwelle ist das schnelle Wachstum an offiziellen und staatlichen Gläubigern, besonders einige der stark kapitalisierten chinesischen Kreditgeber. Sie haben ihre Portfolien dramatisch ausgeweitet und sind nicht voll beteiligt an den Umschuldungsprozessen, die entwickelt worden, um frühere Schuldenwellen zu mildern.

Um einen ersten Schritt bei dem Schuldenerlass der ärmsten Länder zu machen, habe ich zusammen mit Kristalina Georgieva vom IWF beim Frühjahrsstreffen der Weltbank im März ein Moratorium für die Schuldenzahlungen der ärmsten Länder vorgeschlagen. Es war teilweise eine Antwort auf COVID und die Notwendigkeit für fiskalischen Spielraum und auch die Erkenntnis, dass eine Schuldenkrise in den ärmsten Ländern im Gange war. Mit Unterstützung von G20, G7 und dem Pariser Club trat am 1 Mai die Initiative zur Aussetzung des Schuldendienstes (Debt Service Suspension Initiative oder DSSI) in Kraft. Es ermöglichte eine schnelle und koordinierte Antwort, um zusätzlichen fiskalischen Spielraum für die ärmsten Ländern dieser Welt zu Verfügung zu stellen. Per Mitte September kam dies 43 Ländern zugute mit geschätzten $ 5 Mrd. an ausgesetztem Schuldendienst an offizielle bilaterale Gläubiger, die die Aufstockung der Notfinanzierung von Weltbank und IWF ergänzt haben. Die DSSI hat uns auch ermöglicht einen bedeutenden Fortschritt in der Schuldentransparenz zu machen, die den Schuldnerländern und ihren Gläubigern helfen wird, eine besser informierte Schulden- und Investitionsentscheidung zu treffen. Die diesjährige Ausgabe der Internationalen Verschuldungsstatistik der Weltbank (International Debt Statistics), die nächsten Montag, am 12. Oktober herausgegeben wird, wird viel detailliertere und aufgeschlüsselte Daten der Staatsverschuldung zeigen als je zuvor in ihrer fast 70jährigen Geschichte.

Viele Schritte sind nötig für den Schuldenerlass. Ein Weg ist die aktuelle Schuldeninitiative zu erweitern und verlängern, so dass es genügend Zeit gibt, eine endgültige Lösung zu finden. Die Weltbank und der IWF haben die G20 aufgefordert, die DDSI Entlastung bis Ende 2021 zu verlängern und wir haben auch die G20 Regierungen auf die Notwendigkeit hingewiesen, dass alle privaten und bilateralen Gläubiger der öffentlichen Hand sich an dem DSSI beteiligen. Es sollten privaten Gläubigern und nicht partizipierenden bilateralen Gläubiger nicht erlaubt sein, einen Freifahrtschein aus dem Schuldenerlass von anderen zu bekommen, auf Kosten der ärmsten dieser Welt.

Die Aussetzung des Schuldendienstes ist eine wichtige Notlösung, aber es ist nicht genug.  Erstens zu viele der Gläubiger nehmen nicht teil, was dazu führt, dass der Schuldendiensterlass zu schwach ist, um den fiskalischen Finanzbedarf aus der Ungleichheit der Pandemie um uns herum zu decken. Zweitens wird der Schuldendienst einfach nur aufgeschoben aber nicht aufgehoben. Es zeigt kein Licht am Ende des Tunnels. Dies ist besonders deutlich in der heutigen Umgebung mit niedrigen Zinsen für lange Laufzeiten. Der normale Zeitwert des Geldes funktioniert einfach nicht mehr, so dass das Angebot der Gläubiger für einen Aufschub der Zahlungen mit einer Aufzinsung vielfach bedeutet, dass die Schuldenlast mit der Zeit ansteigt, nicht fällt. Die historische Verwendung der Barwertberechnungen bei den Schuldenrestruktierungen muss kritisch hinterfragt werden, um den Menschen in den Schuldnerländern gerecht zu werden.

Es besteht das Risiko, dass es Jahre oder Jahrzehnte dauern wird, bis die ärmsten Ländern die Gläubiger überzeugt haben, ihre Schuldenlast so zu reduzieren, damit ein Neustart bei Wachstum und Investitionen wieder gemacht werden kann. Ich glaube, dass wir angesichts des Ausmaßes der Pandemie mit Eile einen bedeutenden Abbau des Schuldenberges der Länder in einer Schuldennotlage brauchen. Im gegenwärtigen System, muss es jedoch jedes Land, egal wie arm, mit jedem Gläubiger einzeln ausfechten. Die Gläubiger sind meistens besser finanziert und werden vertreten von den bestbezahltenAnwälten, häufig vor Gerichten in den USA oder in Grossbritannien, was Umschuldungen schwierig macht. Es ist doch sicherlich möglich, dass diese Länder – zwei der größten Beitragszahler für Entwicklung – mehr tun können, um ihre staatlichen Rahmenbedingungen besser in Einklang zu bringen gegenüber den ärmsten Länder und ihrer Gesetze, die die Rechte der Gläubiger schützen, um die  Rückzahlungen von diesen Ländern zu verlangen. 

Verschiedene Schritte sind nötig. Erstens, wie ich schon erwähnt habe, müssen alle offiziellen bilateralen und kommerziellen Gläubiger am Moratorium teilnehmen, um Zeit zu gewinnen. Zweitens, brauchen wir vollständige Transparenz der Bedingungen von bestehenden und neuen Schulden und schuldenähnliche Verpflichtungen von Regierungen der ärmsten Länder. Sowohl Gläubiger als auch Schuldner sollten diese Transparenz annehmen, aber bisher hat keiner von ihnen genug in dieser Hinsicht getan. Drittens, mit dieser vollen Transparenz, brauchen wir eine sorgfältige Analyse, wie hoch die langfristige Schuldentragfähigkeit eines Landes ist, um die Höhe der Staatsverschuldung zu identifizieren, die nachhaltig mit Wachstum und Armutsbekämpfung vereinbar wäre. Der Grad an Transparenz und Analyse wäre auch sehr vorteilhaft für die staatlichen Verpflichtungen von Industrieländern, wie zum Beispiel Ausgabenprojektionen für staatlichen Rentenfonds. Viertens, wir brauchen neue Werkzeuge, um mit dem Abbau des Schuldenbestandes der ärmsten Länder voranzukommen. Die Weltbank und der IWF schlagen dem Development Committee einen gemeinsamen Aktionsplan bis Ende 2020 vor für eine Schuldenverringerung von IDA Ländern in unhaltbaren Schuldensituationen.

Im Allgemeinen haben sich seit Beginn von COVID-19 die Herausforderungen der hohen Verschuldung so verstärkt, dass die Zahlungsfähigkeit von vielen Unternehmen gefährdet ist. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich hat geschätzt, dass 50% aller Unternehmen nicht genügend Liquidität hat, um ihren Schuldendienst im nächsten Jahr zu bedienen. 

Die steigende Schuldennot von Unternehmen hat das Potential ansonsten zukunftsfähige Unternehmen zu vernichten, Arbeitsplätze zu vernichten, Unternehmertum zu verringern und das Wachstumspotential weit in die Zukunft zu verlangsamen.   Die Weltbank und die IFC arbeiten zusammen mit unseren Kunden, um dieses Thema zu adressieren, indem ihnen geholfen wird, die Rahmenbedingungen für Insolvenzen zu stärken und zu verbessern während Betriebsmittel von systemisch wichtigen Unternehmen verbessert wird.

Thema 4: Unterstützung eines integrativen und widerstandsfähigen Aufschwungs

Bei meinem vierten Thema geht es um die Unterstützung eines integrativen und stabilem Aufschwungs. COVID-19 hat mit tödlicher Wirkung gezeigt, dass nationale Grenzen wenig Schutz gegen Katastrophen bieten. Es hat die engen Verflechtungen zwischen den Wirtschaftssystemen, der menschlichen Gesundheit und des globalen Wohlergehens verdeutlicht. Es hat unsere Gedanken darauf konzentriert, Systeme zu bauen, die das nächste Mal alle Länder besser schützen, vor allem unsere ärmsten und schutzbedürftigsten Bürger. 

Es ist essentiell, dass Länder an ihren Klima- und Umweltzielen arbeiten. Eine hohe Priorität hat dabei, den CO2- Ausstoß der Stromerzeugung zu senken. Das bedeutet das Ende von neuen Kohle- und Öl-abhängigen Stromerzeugungsprojekten und die Abwicklung von bestehenden Generatoren mit hohem Kohlendioxidausstoß. Viele von diesen großen Emittern–in den Entwicklungsländern, aber ich muss auch sagen, in den Industrieländern – machen noch nicht genügend Fortschritte auf diesem Gebiet. 

Auch während der Pandemie ist die Weltbankgruppe der größte multilaterale Geldgeber für den Klimaschutz geblieben. In den letzten fünf Jahren haben wir $ 83 Mrd.  an klimabezogenen Investitionen zur Verfügung gestellt. Unsere Arbeit hat 120 Mio. Menschen in 50 Ländern geholfen, um Zugang zu Wetterdaten und Frühwarnsystemen zu bekommen, essentiell um Leben in Katastrophen zu retten. Wir haben insgesamt 34 Gigawatt an erneuerbarer Energie in die Stromnetze hinzugefügt, damit Gemeinden, Unternehmen und Wirtschaften florieren. Ich bin froh mitzuteilen, dass im Fiskaljahr 2020, meinem erstem vollen Jahr als Präsident, die Weltbankgruppe mehr klimabezogene Investitionen gemacht hat als zu irgendeinem Zeitpunkt in ihrer Geschichte.

Wir haben vor, diese Arbeit in den nächsten Jahren noch weiter hochzufahren. Wir helfen Ländern, der Biodiversität einen wirtschaftlichen Wert zu geben - inkl. Wäldern, Land und Wasserressourcen, so dass sie diese natürlichen Ressourcen besser verwalten können. Wir helfen ihnen einzuschätzen, wie sich Klimarisiken auf Frauen und andere auswirken, die bereits gefährdet sind.

Wir arbeiten auch mit den Regierungen zusammen, um umweltschädliche Brennstoffsubventionen zu eliminieren oder weiterzuleiten und Handelsbeschränkungen bei Nahrungsmitteln und medizinischem Bedarf zu reduzieren. COVID-19 Ausgabenpakete können einen entscheidenden Faktor für mehr kohlenstoffarme Energieträger sein und damit einen stärkeren und widerstandsfähigen Aufschwung vereinfachen.

In Bezug auf dieWirtschaft und das damit verbundene Ausmaß des Abschwungs und seiner Dauer wird es ein wichtiger Schritt für einen nachhaltigen Aufschwung sein, wenn die Volkswirtschaften und Menschen Veränderungen zulassen und verinnerlichen. Länder müssen zulassen, dass sich Kapital, Fähigkeiten und Innovation zu einem anderen, Post-COVID Geschäftsumfeld verschieben. Das wird eine Prämie auf Arbeiter und Unternehmen geben, die ihre Fähigkeiten und Innovationen in einem Geschäftsumfeld auf eine neue Art nutzen, die sich wahrscheinlich mehr auf elektronische Verbindungen verlässt als auf Reisen und Händeschütteln.

Um den Aufschwung zu beschleunigen, werden Länder eine bessere Balance finden müssen, dass auf der einen Seite Kerngeschäfte des öffentlichen und privaten Sektors aufrechterhalten werden und auf der anderen Seite die Erkenntnis, dass viele Unternehmen nicht den Abschwung überleben werden. In vielen Fällen werden Unterstützungsbemühungen wirksamer sein, wenn sie Familien anstatt Unternehmen mit Vor-COVID Geschäftsstrukturen aufrechterhalten.

Das Geschäftsumfeld muss sich verändern und verbessern, um einen schnelleren und nachhaltigeren Aufschwung zu erreichen. Ein wichtiger Teil dieses Prozesses ist die Eigentumsfrage und Wiederverwendung von notleidenden Vermögenswerten so schnell wie möglich zu klären. Dies wird wahrscheinlich eine Kombination sein aus schnellerer Konkursabwicklung, neue rechtliche Möglichkeiten zur Beilegung geringfügiger Forderungen und andere außergerichtliche Alternativen wie Schiedsgerichtsbarkeit. Das sind wichtige Bausteine für effiziente Verträge und Kapitalallokation, aber nur wenige Entwicklungsländer haben sie schon eingeführt.  Das Ausmaß des Abschwungs macht eine rasche Straffung und Transparenz des Handelsrechts genauso wichtig für eine Erholung wie die Verfügbarkeit von neuen Krediten und Eigenkapital.

Keine dieser Schritte wird ausreichen und die Wirklichkeit ist, dass selbst Entwicklungshilfe von den großzügigsten Spendern dafür nicht ausreichen wird. Alleine um die durch COVID verursachte voraussichtliche  Erhöhung extremer Armut in 2020 umzukehren, wären $ 70 Mrd. pro Jahr erforderlich ($ 2 mal 100 Mio. Menschen). Das ist weit über den finanziellen Möglichkeiten der Weltbankgruppe oder jeder anderen Entwicklungsinstitution. Meine Meinung dazu ist, dass nachhaltige Lösungen nur gelingen, wenn der Veränderungswille verinnerlicht wird  -  durch Innovation, neue Verwendung von bestehenden Aktiva, Arbeitern und Fähigkeiten, ein Neuanfang bei der überhöhten Schuldenlast und ein Regierungssystem, das eine stabile Rechtsstaatlichkeit schafft und auch bereit ist, Veränderung anzunehmen.

Zusammenfassung

Zusammenfassen habe ich den dringenden Appell, dass Armut, Ungleichheit, Humankapital, Schuldenreduzierung, Klima und wirtschaftliche Anpassung Kernelemente sind, um einen widerstandsfähigen Aufschwung zu gewährleisten. Diese Jahrhundertkrise hat gezeigt, dass Geschichte sich nicht genau widerholt – weil die Menschheit doch von ihren Fehlern lernt. Die Pandemie hat bisher nicht die verheerenden Nebenwirkungen von früheren wirtschaftlichen Abstürzen ausgelöst – keine Hyperinflation oder Deflation noch eine Hungersnot. Obwohl der Einkommensverlust, und die Ungleichheit dieser Auswirkungen schlimmer war als in den meisten vorherigen Krisen, war die globale wirtschaftliche Antwort bisher viel größer als wir das zu Beginn der Krise erwartet hatten.

Die Reaktion auf die Entwicklung muss ausgeweitet und intensiviert werden, sowohl für den Gesundheitsnotstand und als auch die Bemühungen Ländern zu helfen, ein wirksames Unterstützungssystem und Aufschwungspläne zu finden. Engere Kooperation wird uns befähigen, unser Wissen zu teilen und effiziente Lösungen viel schneller entwickeln und anwenden. Es wird Innovatoren befähigen, einen neuen Impfstoff zu entwickeln und das Vertrauen der Menschen in die Zukunft wiederherstellen. Wenn wir auf allen Kanälen arbeiten, ist es meine Hoffnung und mein Glaube, dass wir den Abschwung verkürzen können und eine starke Grundlage für ein nachhaltigeres Model des Wohlstands schaffen können – einen der alle Menschen aus allen Ländern emporhebt.

Vielen Dank. 

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