REDEN & ABSCHRIFTEN

Eine globale Perspektive: Drei „unlösbaren“ Aufgaben der Welt begegnen

9. Juni 2015


Jim Yong Kim, Präsident, Weltbankgruppe Frankfurt, Deutschland

Vortragsfassung

Vielen Dank für Ihre freundliche Begrüßung. Ich bin dankbar, dass ich heute auf Einladung der Bundesbank hier an der Goethe-Universität Frankfurt sein darf. Als ehemaliger Präsident einer Universität tauche ich immer wieder gerne in die offene und lebendige Atmosphäre ein, die Universitäten als Stätten des Ideenreichtums eigen ist.

Diese Universität ist zudem nach einem Mann benannt, dessen Ideen nicht nur zahlreich, sondern scheinbar auch grenzenlos waren. Als Rechtsgelehrter, Schriftsteller, Dichter, Beamter, Wissenschaftler und Dramatiker widmete sich Johann Wolfgang von Goethe dem Geistigen wie dem Praktischen. Er sagte einmal: „Es ist nicht genug, zu wissen, man muss auch anwenden. Es ist nicht genug, zu wollen, man muss auch tun.“

Bei der Weltbankgruppe teilen wir diese Maxime. Unser Ziel ist die Anwendung der weltweit besten Ideen und Erfahrungen und des besten Fachwissens auf die Entwicklungsarbeit, damit wir unsere zwei Hauptziele erreichen können: Beseitigung extremer Armut bis 2030 und Förderung gemeinsamen Wohlstands. Dazu müssen wir die Einkommen der ärmsten 40 Prozent und der Menschen anheben, die von weniger als 1,25 Dollar am Tag leben; darüber hinaus müssen wir wichtige Fortschritte in Bereichen wie Gesundheit und Bildung erzielen, damit alle die gleichen Chancen haben.

Heute werde ich darüber sprechen, was manche als die drei unlösbaren Aufgaben der Welt ansehen, und darüber, dass ich der festen Überzeugung bin, dass diese Aufgaben gemeistert werden können. Ich habe auch ein paar Gedanken zum G7-Gipfel, der erst gestern nicht weit von hier zu Ende ging, und zur Führungsrolle von Angela Merkel, die die wichtigsten Staats- und Regierungschefs der Welt zusammenbrachte, um die größten Probleme in Angriff zu nehmen.

Zunächst einmal etwas über den Fokus der Weltbankgruppe: den Armen und Schutzlosen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen helfen. Diese Entwicklungsländer sind wichtige Motoren für die Weltwirtschaft. In den letzten 10 Jahren kam ungefähr ein Drittel des Weltwirtschaftswachstums aus einem Land: China. Rund ein weiteres Drittel steuerten alle anderen Entwicklungsländer gemeinsam bei. Und das letzte Drittel des globalen Wachstums wurde im vergangenen Jahrzehnt von allen Industrienationen, darunter auch Deutschland, bestritten.

Im Jahr 2000 machten die Entwicklungsländer insgesamt 20 Prozent des globalen BIP aus. 2013 stieg ihr Anteil an der globalen Wirtschaftstätigkeit auf rund 40 Prozent und verdoppelte sich somit in nur 13 Jahren.

Der Anteil der Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen sowie der Schwellenländer an den Weltexporten stieg von 25 Prozent in 2000 auf 40 Prozent in 2013. Und für fortgeschrittene Volkswirtschaften wie Deutschland, Frankreich, Japan und die USA wurden die Entwicklungsländer zu einer wichtigen Wachstumsquelle: Ihr Anteil an den Exporten der fortgeschrittenen Volkswirtschaften betrug 20 Prozent in 2000 und kletterte bis 2013 auf 34 Prozent. Der drittgrößte Exportmarkt für Deutschland hinter Frankreich und den USA ist China mit einem Volumen von 83 Mrd. Dollar im letzten Jahr. China ist für Deutschland zu einem größeren Exportmarkt geworden als das Vereinigte Königreich, die Niederlande oder etwa Italien.

Langfristige Projektionen beinhalten zwar ein gewisses Maß an Spekulation, aber demografische Trends, Kapitalakkumulationsmuster und Produktivitätswachstum legen nahe, dass die künftige Rolle der Entwicklungsländer in der Weltwirtschaft zunehmen wird. 2011 schätzten wir zum Beispiel im Rahmen eines Baseline-Szenarios für das Wachstum der nächsten 15 Jahre, dass die Schwellenländer mehr als doppelt so hohe Wachstumsraten wie die fortgeschrittenen Volkswirtschaften – 4,7 Prozent im Vergleich zu 2,3 Prozent – vorlegen würden.[1] Diese Prognose erwies sich bisher, zwischen 2011 und 2014, als zutreffend, lag das durchschnittliche Wachstum der Entwicklungsländer doch bei 4,5 Prozent und in den Industrienationen bei 2,5 Prozent.

Insgesamt betrachtet bedeuten diese Daten, dass das Wirtschaftswachstum in Entwicklungsländern nicht nur für die Bekämpfung der Armut innerhalb der Landesgrenzen, sondern auch für das weltweite Wachstum wichtig ist, insbesondere mit Blick auf die Zukunft.

Trotz der langfristig positiven Aussichten der Entwicklungsländer ging das Wirtschaftswachstum in praktisch allen Entwicklungsregionen zurück, namentlich in einigen großen Ländern mittleren Einkommens in dieser Gruppe. Aber es gibt auch bemerkenswert erfreuliche Entwicklungen. Indien erfuhr beschleunigtes Wachstum, das möglicherweise zum ersten Mal seit 15 Jahren über dem Wachstum Chinas liegt. Wir gehen davon aus, dass das allgemeine Wachstum in den Entwicklungsländern – mit Ausnahme der BRIC-Staaten –4,6 Prozent betragen wird.   

Bevor die Entwicklungsländer diese Phase relativ langsamen Wachstums hinter sich lassen können, müssen sie ihre makroökonomischen Risiken steuern. So wird beispielsweise das Ergebnis der Verhandlungen zwischen Griechenland und seinen Gläubigern vermutlich auch jenseits der Grenzen des Euroraums Spillover-Effekte zeitigen. Es ist schwierig, mehr über diese – positiven oder negativen –  Auswirkungen zu sagen, ohne mehr über die Lösung der laufenden Gespräche zu wissen. Es bestehen allerdings vier aktuelle Herausforderungen, deren Einfluss klarer erkennbar ist: (1) Währungsrisiko, (2) Zinsrisiko, (3) Rückgang der globalen Ölpreise und (4) ausgewogeneres, aber langsameres Wachstum in China.

Wesentliche Unterschiede in Konjunkturzyklen und Politik innerhalb der einzelnen Regionen wie auch über mehrere Regionen hinweg sind die treibenden Kräfte für das Währungs- und Zinsrisiko, dem sich die Entwicklungsländer gegenübersehen.

Im Euroraum schreitet die Erholung nach der Krise nur langsam voran. Das Gesamt-BIP der Region erreichte erst vor Kurzem wieder den Vorkrisenstand. Obwohl die Arbeitslosigkeit sinkt, ist sie mit 12,7 Prozent immer noch um 3 Prozentpunkte höher als im September 2008. Der Fortschritt innerhalb des Euroraums gestaltet sich uneinheitlich. Deutschland, Spanien, Frankreich und die Niederlande zeigen Aufwärtstrends im Wachstum, während Länder wie Österreich und Finnland weitaus schwächere Ergebnisse vorzuweisen haben.

Im Vergleich dazu ist die Erholung in den USA weit fortgeschritten. Das BIP ist jetzt fast 9 Prozent höher als vor der Krise; die Arbeitslosigkeit liegt mit 5,5 Prozent unter dem Vorkrisenstand. Darüber hinaus zeigt die Lohninflation Anzeichen einer Zunahme.

Infolge dessen haben die USA ihre außergewöhnlichen Maßnahmen abgestellt und bereiten sich auf eine – wenngleich vorsichtige – Straffung ihrer immer noch äußerst lockeren Geldpolitik vor, ganz im Gegensatz zum Euroraum und zu Japan, wo ein bisher nie da gewesenes Ausmaß an quantitativer Geldpolitik herrscht.

Die sich daraus ergebenden Währungsbewegungen wirken sich über zwei Hauptkanäle auf das Wachstum in den Entwicklungsländern aus: Wertanpassungen der Auslandsschulden und Handel. Die Änderung der Geldpolitik wird auch zu einem Anstieg des Tagesgeldsatzes in den USA führen, was eine Umkehr der außergewöhnlichen Kapitalflüsse zur Folge haben kann. Seit 2008 haben sich die Ströme der Portfolioinvestitionen in die Entwicklungsländer mehr als verdoppelt, und innerhalb dieser Portfolioinvestitionsströme fielen die Anleiheströme besonders stark aus. Die jährliche Emission betrug in den letzten fünf Jahren durchschnittlich 250 Mrd. Dollar und ist damit im Durchschnitt dreimal so hoch wie in den Jahren zuvor. Der jüngste Rückgang der Ölpreise wird negative Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum der Ölexportländer haben. Insgesamt könnte der ungefähr 50-prozentige Rückgang gegenüber demselben Zeitraum des Vorjahres bedeuten, dass Ölimportländer dieses Jahr bis zu 750 Mrd. Dollar weniger für Öl ausgeben als im vergangenen Jahr.

In China erkennen wir an den Wirtschaftsdaten langsamere Wachstumsquoten, und die ausgeglichenere Wirtschaftsentwicklung des Landes kann sich auf andere Entwicklungsländer auswirken. Insbesondere herrscht in China starke Nachfrage nach den Exporten aus Niedrigeinkommensländern: Schlug China im Jahr 2000 gerade einmal mit weniger als einem halben Prozent der Exporte aus diesen Ländern zu Buche, ist China heute ihr größter Exportabnehmer. Nach rund drei Jahrzehnten zweistelliger Expansion wird sich das Wachstum in China im Lauf der nächsten drei Jahre voraussichtlich auf etwa 7 Prozent jährlich abkühlen. Dennoch scheint der gegenwärtige Rückgang eher konjunktureller denn struktureller Art zu sein. Auf eine Periode wirtschaftlicher Überhitzung folgt in der Regel eine Korrektur.

Diese Herausforderungen legen nahe, dass das Wirtschaftswachstum in Entwicklungsländern kurzfristig gesehen weniger robust ausfallen wird.

Und damit komme ich zu dem, was man als drei unlösbare Aufgaben der Welt bezeichnen könnte: die Probleme, die mir nachts den Schlaf rauben. Das erste ist die Beseitigung extremer Armut in nur 15 Jahren. Das zweite ist die Vorbereitung auf die nächste Pandemie, die weitaus mehr Todesopfer fordern könnte als alles, was wir in den letzten Jahren erlebt haben. Und das dritte ist der Kampf gegen den Klimawandel, damit wir unseren Planeten auch für künftige Generationen erhalten können.

Bei allen drei Problemen werde ich anführen, dass Finanzen ein Schlüssel zum Erfolg sind. Wie finanziert man Entwicklung auf dem Niveau dieser Aufgaben? Heute gibt es ein weitaus breiteres und volleres Spektrum an Möglichkeiten für Entwicklungsländer. Erstens wissen heute alle Länder, das sie mehr interne Ressourcen mobilisieren müssen – hauptsächlich durch Anhebung der Steuereinkünfte. Zweitens arbeiten die Länder intensiv daran, den gewaltigen Abfluss illegaler Finanzströme aus ihren Nationen zu stoppen. Und wir müssen sie darin unterstützen, diesen korrupten Praktiken Einhalt zu gebieten, und dafür sorgen, dass diese Gelder nicht versickern, sondern in die Verbesserung der öffentlichen Dienstleistungen investiert werden. Und drittens wird die Entwicklungshilfe aus dem Ausland in vielen Fällen – insbesondere in Niedrigeinkommensländern – noch mehr bewirken, wenn Investitionen aus dem Privatsektor genutzt werden können.  

Mehr Geld ist entscheidend, genauso unverzichtbar aber ist die Anwendung von Fachwissen. Es wird bisweilen behauptet, die Beseitigung extremer Armut sei nicht möglich, schon gar nicht in 15 Jahren. Wir aber wissen, dass das zu schaffen ist. Wir wissen das nicht zuletzt dank unserer früheren Erfolge – in den letzten 25 Jahren halfen die Länder einer Milliarde Menschen bei der Überwindung von Armut. Wir wissen das auch, weil wir aus 50 Jahren Erfahrung gelernt haben, was in bestimmten Situationen funktioniert und was nicht. Unsere Strategie zur Beseitigung extremer Armut kann auf der Grundlage der besten globalen Kenntnisse, die uns derzeit zur Verfügung stehen, mit nur drei Worten zusammengefasst werden:

Wachsen. Investieren. Und versichern.

Die Weltwirtschaft muss schneller und nachhaltiger wachsen. Ihr Wachstum muss so ausfallen, dass die Armen einen größeren Anteil der Vorteile aus diesem Wachstum bekommen. Wir können extreme Armut nur dann beseitigen, wenn wir einen Weg zu einem robusteren und umfassenderen Wachstum aufzeigen, das in modernen Zeiten seinesgleichen sucht. Nachhaltiges Wachstum erfordert makroökonomische Stabilität in Form von niedriger Inflation, überschaubarer Verschuldung und zuverlässiger Wechselkurse. Die öffentliche Politik muss auch dem Wachstum in den Sektoren Priorität einräumen, die zu höheren Einkommen für die Armen führen. In den meisten Entwicklungsländern werden die Bemühungen zur Beseitigung extremer Armut uns jedoch zwingen, für mehr Produktivität in der Landwirtschaft zu sorgen. Trotz der massiven globalen Abwanderung in städtische Gebiete leben 70 Prozent der ärmsten Menschen der Welt immer noch in Dörfern auf dem Land. Sie sind meist Bauern oder verdingen sich als Gelegenheitsarbeiter, um die Landbevölkerung zu versorgen. Bauern zu besseren Erträgen verhelfen bedeutet, den Zugang zu besserem Saatgut, zu Wasser, Strom und Märkten zu erleichtern. Laut einer Studie in Bangladesh stieg sechs Jahre nach dem Bau von 3.000 Kilometern Straßen, die Landgemeinden mit Märkten verknüpfen, das Haushaltseinkommen um durchschnittlich 74 Prozent.

Der zweite Teil der Strategie sind Investitionen – und damit meine ich Investitionen in die Menschen, vor allem durch Bildung und Gesundheit. Die Chance, Kindern den richtigen Start ins Leben zu ermöglichen, bietet sich nur einmal. Investitionen in Kinder am Anfang ihres Lebens bringen weitaus mehr als Investitionen im späteren Verlauf. Mangelernährung und Krankheiten können lebenslange Auswirkungen auf die geistige und körperliche Gesundheit, auf schulische Leistungen und Verdienstmöglichkeiten im Erwachsenenalter haben. Investitionen in Mädchen und Frauen sind besonders wichtig, weil sie als Multiplikatoren für das Wohlergehen der Menschen wirken, die in extremer Armut leben. Mütter, die durch Bildung gestärkt wurden, haben gesündere Kinder. Und wenn sie die finanziellen Mittel haben, werden sie mit größerer Wahrscheinlichkeit in die nächste Generation investieren.

Den letzten Teil dieser Strategie bildet die Versicherung. Das bedeutet, dass Staaten ein soziales Sicherheitsnetz wie finanzielle Unterstützung bieten. Mit gerade einmal 0,5 Prozent des BIP reduzierte Bolsa Familia in Brasilien extreme Armut im Lauf eines Jahrzehnts um 28 Prozent. Diese Sicherheitsnetze bedeuten auch, dass wir Systeme zum Schutz gegen Katastrophen und die rasche Ausbreitung von Krankheiten errichten müssen.

Das ist das zweite Problem, das mich nachts nicht schlafen lässt und mir sehr am Herzen liegt: Menschen vor tödlichen Pandemien schützen. Ebola verdeutlichte die Unzulänglichkeiten der internationalen und nationalen Systeme zur Vorbeugung, Aufdeckung und Behandlung von Infektionskrankheiten. So etwas darf nie wieder passieren. Die nächste Pandemie könnte weitaus mehr Todesopfer fordern und sich viel schneller ausbreiten als Ebola. Die Spanische Grippe von 1918 kostete innerhalb von 25 Wochen schätzungsweise 25 Millionen Menschen das Leben. Bill Gates beauftragte Forscher mit der Entwicklung eines Modells, das die Auswirkungen einer Krankheit wie der Spanischen Grippe auf die Welt von heute darstellt. Danach würde eine ähnliche Krankheit in 250 Tagen 33 Millionen Menschen dahinraffen. Es ist also nicht weiter überraschend, dass die Manager der Versicherungsbranche in einer weltweiten Studie eine Pandemie globalen Ausmaßes als ihre größte Sorge nannten.

Die Weltbankgruppe arbeitet mit Partnern an einem neuen Konzept, das bei einem Ausbruch stark benötigte Mittel schnell bereitstellen kann. Der Gedanke hinter einer Notfall-Fazilität für Pandemien ist die Mobilisierung und Inanspruchnahme öffentlicher und privater Ressourcen durch öffentliche Finanzierung und durch die Mechanismen des Markts und privater Versicherungen. Bei einem Ausbruch würden die Länder rasch Auszahlungen der Mittel erhalten, die wiederum die Ausbreitung eindämmen, Leben retten und Volkswirtschaften schützen könnten. Wir sind den Vertretern der G7 und insbesondere Bundeskanzlerin Merkel für die Befürwortung dieses Konzepts sehr dankbar. Im weiteren Jahresverlauf werden wir den Staats- und Regierungschefs der G20 einen ausführlicheren Plan vorlegen.

Die G7-Teilnehmer veröffentlichten auch ein überzeugendes Statement zum Klimawandel – die dritte der scheinbar unlösbaren Aufgaben, die mir nachts den Schlaf raubt.

In den letzten 30 Jahren forderten Naturkatastrophen mehr als 2,5 Millionen Todesopfer und verursachten Schäden in Höhe von rund 4 Billionen Dollar. Ungefähr drei Viertel dieser Verluste sind auf extreme Witterung zurückzuführen. Die Erderwärmung infolge des Klimawandels führt dazu, dass diese Stürme, Überschwemmungen und Dürren immer häufiger und heftiger werden.

Jedes Jahr entspricht der Schaden, den viele kleine Inselstaaten und andere Entwicklungsländer erleiden, oft mehr als einem Prozentpunkt ihres BIP. Und nach unseren Bewertungen werden die künftigen wirtschaftlichen Folgen einer weiteren Erwärmung drastisch ausfallen. Länder in der Karibik und die südlichen Philippinen könnten bis 2050 aufgrund wärmerer Temperaturen und Versauerung der Meere bis zu 50 Prozent ihres Fischfangs verlieren. In Brasilien könnten die Ernteerträge für Soja um bis zu 70 Prozent und für Weizen um bis zu 50 Prozent zurückgehen. Eine wärmere Welt wird auch die Ausbreitung durch Vektoren übertragener Krankheiten wie Malaria beschleunigen und damit die Produktivität und Gesundheit der Erwerbsbevölkerung unterwandern.

Kohlenstoff mit einem robusten Preis belegen und die Abschaffung von Treibstoffsubventionen sind zwei maßgebliche Schritte, wenn Temperaturanstieg und Bedrohungen durch wirtschaftliche Verluste gebremst werden sollen. Es ist auch unabdingbar, dass die fortgeschrittenen Volkswirtschaften ihre Zusage einhalten und 100 Mrd. Dollar pro Jahr für Klimamaßnahmen in Entwicklungsländern investieren.

In weniger als sechs Monaten werden die Staats- und Regierungschefs der Welt in Paris zum Klimagipfel zusammenkommen. Die G7-Spitzen sicherten dieser Tage energische Maßnahmen zur Senkung der Treibhausgasemissionen zu und versprachen, in der Weltwirtschaft eine Führungsrolle bei der Abkehr von der Kohle zu übernehmen. Wir begrüßen ihre Aufforderung an multilaterale Entwicklungsbanken wie unsere, unsere Bilanzen und unsere Kreditnahmekapazitäten zur Finanzierung von Klimamaßnahmen voll auszuschöpfen. Wir begrüßen auch ihre Aufforderung an die Weltbankgruppe und ihre Partner, eine Plattform für den strategischen Dialog über Kohlemärkte und Regulierungsmöglichkeiten einzurichten.

Wir alle, die wir heute in diesem herrlichen Saal der Universität sitzen, können uns darin einig sein, dass die Welt entscheidende Maßnahmen ergreifen muss, wenn wir diesen sogenannten unlösbaren Aufgaben begegnen wollen.

Damit kehre ich wieder zu den Worten von Goethe zurück, den ich hier erneut zitiere: Er sagte: „Es ist nicht genug, zu wissen, man muss auch anwenden. Es ist nicht genug, zu wollen, man muss auch tun.“

Es ist nicht genug, zu wissen und sich über das Vorhandensein extremer Armut Sorgen zu machen. Wir müssen sie beseitigen und den großen Wissensschatz, den wir im Lauf der Jahre angesammelt haben, einsetzen und die Konzepte anwenden, die sich als erfolgreich erwiesen haben. Es ist nicht genug, sich zu fragen, ob die Welt auf die nächste Pandemie vorbereitet ist. Das geht uns alle an, ob wir nun Zentralbanker oder Studenten sind. Wir müssen die Welt daran erinnern, dass in Guinea, Liberia und Sierra Leone mehr als 11.000 Menschen an einer sich langsam ausbreitenden Epidemie starben, und müssen dafür sorgen, dass wir umfassend auf die nächste tödliche Pandemie vorbereitet sind. Und es ist nicht genug, den 97 Prozent unserer Wissenschaftler beizupflichten, dass vom Menschen verursachte Emissionen gefährliche Veränderungen an unserem Klima verursachen. Es liegt in unser aller Verantwortung, auf einem Preis für Kohlenstoff zu bestehen – wie es letzte Woche sechs große europäische Öl- und Gaskonzerne taten – und einen Weg zur Abschaffung regressiver Subventionen für fossile Brennstoffe zu finden.

Am Tag nach dem Treffen der G7-Spitzen, bei dem Kanzlerin Merkel uns alle aufforderte, konkrete Maßnahmen mit Zielen und Fristen zu ergreifen, empfinde ich es als Ehre, Gast in dieser wunderbaren Institution zu sein; ich möchte deshalb auf Goethe verweisen, der uns heute dazu anregen sollte, uns nicht nur einfach zurückzulehnen und nachzudenken. Wir müssen anwenden und müssen tun, für die Ärmsten, für unsere Kinder und für die Menschheit.

Ich möchte mit zwei weiteren Goethe-Zitaten abschließen. Das erste ist den Studenten gewidmet. Goethe sagte: „Der Glauben an sich selbst ist Magie, wenn Sie das tun, können Sie alles erreichen.“

Das zweite geht an die Zentralbanker hier im Publikum und in aller Welt. Goethe sagte ungefähr: „Wenn ein Mensch von einem gewaltigen Traum erfasst wird und sich ihm mit der vollen Kraft seiner Seele widmet, verschwört sich das ganze Universum zu Ihren Gunsten.“

Möge das ganze Universum sich zu Ihren Gunsten verschwören und mögen wir alle diesen weisen Worten folgen und tun.

Vielen Dank.

 

[1] Globale Entwicklungshorizonte 2011


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